75 Jahre VHS Winnenden: Teil 8 der Artikelserie


Umzug ins Alte Rathaus, von der kleinen zur mittleren VHS

Spurensuche von  Christel Ludwig (ehem. Spitzenberger, Leiterin der VHS 1985 -2010)

Auf den eigenen Spuren
Jetzt wird es schwierig für mich. Jetzt komme ich zu einer Zeit, in der jeder Blick in das Programm viele Erinnerungen weckt. Wo anfangen? Wo aufhören? Soll ich aus dem Nähkästchen plaudern? Oder…? 
Der Neustart 1985 war gut gegangen, was die Statistik von 1987 zeigt. Das Angebot war von 308 auf 370 durchgeführte Veranstaltungen gestiegen, die Teilnehmerzahl erhöhte sich von 4.580 auf 7.357 und es waren 6.740 Unterrichtseinheiten (45 Minuten = 1 Unterrichtseinheit) gegenüber 5.164 im Jahre 1985 geleistet worden. 

Im Hinblick auf die gestiegenen Teilnehmerzahlen, auf den Umzug ins alte Rathaus und auf die damit verbundenen Erwartungen war es ein Segen, dass in Baden-Württemberg das sog. Lehrermodell aufgelegt wurde. Lehrer und Lehrerinnen konnten sich für fünf Jahre in die Erwachsenenbildung bewerben, das Land übernahm 75 % der Personalkosten. Der Vorstand beschloss, eine 50 %-Stelle 1988 und eine weitere 1989 im Rahmen dieses Modells zu besetzen, auch die Verwaltung wurde um eine weitere Teilzeitkraft gestärkt. Es wurde eng in der „Baracke“. Walter Erhard durfte den Schreibtisch mit der Leiterin teilen, er sollte den Fachbereich Sprachen übernehmen. Das war Einarbeitung pur. Doch wir wussten ja alle, es ist nicht von Dauer.

Endlich eigene Räume –  „dozenten stellen aus“ 
Im Herbst 1988 war es dann soweit, die VHS bezog eigene Räume. Anlass, nun das 40jährige Jubiläum nachzufeiern. In den neuen, noch unmöblierten Räumen hieß es zum ersten Mal vom 4. bis 9. November „dozenten stellen aus“. In einer eindrucksvollen Ausstellung im ganzen Haus präsentierten sich die an der VHS lehrenden Künstlerinnen und Kunsthandwerker des Fachbereichs „Künstlerisches und Kunsthandwerkliches Gestalten“. Josef Nadj, freischaffender Bildhauer, hat die Ausstellung kuratiert. Ein eindrucksvoller Katalog konnte vorgelegt werden. 

Bildung mal ernst, mal heiter – immer vom Feinsten
Die Ausstellungseröffnung mit Dr. Günther Behrens vom Landesverband Baden-Württemberg werden die, die dabei waren, nicht vergessen. Zehn Minuten lang hätte man eine Stecknadel fallen hören können im eng gefüllten Vortragssaal. Fremdwort reihte sich an Fremdwort, die hochtrabenden Sätze, mit wichtiger Miene vorgetragen, verstand wohl keiner. Peinlich. Bis die Erlösung aus der Mitte des Saales kam: „Ha, die verarschet uns!“. Behrens Miene löste sich, endlich hatten die Zuhörenden gemerkt: eine Persiflage auf eine Ausstellungseröffnung. Mit großem Vergnügen wurde nun den brillanten Ausführungen gefolgt. 
Wer genug von Kunst hatte, konnte gleich in den Storchenkeller wechseln: dort fand eine Lesung mit dem legendären Sportjournalisten und Frankreichkenner Hans Blickensdörfer statt. 
In der „Festwoche“ gab es noch eine Vorlesung mit Prof. Dr. Hartmut Wasser. Der Puppenspieler Albrecht Roser war mit „Gustav und sein Ensemble“ im PLK Festsaal zu Gast. Dr. Gerhard Raff erzählte an einem sehr langen Abend „Schwäbische Geschichte(n)“. 

40 Jahre VHS – Walter Jens zu Gast
Der Festvortrag zu Beginn dieser an Veranstaltungen reichen Woche fand im vollen Foyer des neuen Rathauses statt. Das Kammerorchester und das Bläserensemble der Stadtjugendmusikschule umrahmte das Programm: BM Paul Hug, der 1. Vorsitzende der VHS, begrüßte die Gäste und hielt einen Rückblick auf 40 Jahre VHS. Grußworte kamen von OB Karl-Heinrich Lebherz, von Landrat Horst Lässing und der Direktorin des VHS-Verbandes Baden-Württemberg Renate Krausnick-Horst. Die Leiterin durfte dann den Festredner Prof. Dr. Walter Jens ankündigen, der geduldig auf seinen „Einsatz“ wartete. Der 2. Vorsitzende Dieter Pflüger hatte das Schlusswort. Beim Ständerling wurde dann noch ausführlich über den Festvortrag diskutiert: „Deutsche Literatur nach 1945 – Aspekte und Tendenzen“. 
Ein Abend mit dem „studio gesprochenes wort“ unter der Leitung von Prof. Uta Kutter zur Entwicklung literarischen Lebens nach dem Zusammenbruch sollte, wie auch der Festvortrag, an die Zeit der Gründung der VHS Winnenden erinnern.

Geschafft
Am 9. November wurde die Ausstellung abgebaut, die Möbel kamen, die Büros wurden hurtig bezogen. Trotz Festwoche und Umzug musste das laufende Programm betreut werden. Die Kurse liefen an 28 Unterrichtsstätten in Winnenden, Leutenbach und Schwaikheim weiter. Daneben waren die Sprachkurse für die der Stadt zugewiesenen Asylbewerber eine große Herausforderung. Diese Erfahrung war die Grundlage für ein späteres von der Karl-Krämer-Stiftung unterstütztes viel beachtetes Projekt „Interkulturelle Kompetenz – Vielfalt statt Einfalt“.
Zudem musste das neue Frühjahrsprogramm bis Anfang Dezember in Druck gehen! Es wurde nicht langweilig im neuen Domizil. Nur ein Team, das begeistert ist, von dem, was es tut, schafft so etwas. Wir alle haben uns getragen gefühlt von dem Rückhalt, den uns der Vorstand gab, und der Unterstützung, die wir von Dozenten und Dozentinnen erfuhren, und von der Anerkennung, die der Arbeit der VHS Winnenden auf vielfältige Art gezollt wurde. 

Angekommen im Zentrum der Stadt
Bewährtes sollte gestärkt und durch Neues ergänzt werden. Besonderes Augenmerk wurde auf die Qualität sowohl in der Organisation wie auch im Inhalt und in der Durchführung gelegt. Ein Konzept musste erarbeitet werden, wie der Charme der neuen Räume ins rechte Licht gerückt werden kann, und die Nachteile, die solch ein Gebäude für Unterrichtszwecke hat, nicht ins Gewicht fallen.
Die neuen Räume wurden ausgiebig genutzt: nahezu rund um die Uhr an Wochenenden und während der Ferien. Der Hausmeister hatte mächtig zu tun mit der Umstuhlerei und Medienbereitstellung. 

Kuchen und Schwarzbrot 
Träger bekannter Namen schmücken, es ist interessant, sie zu hören und erleben. Wir konnten einige nach Winnenden locken. Der wahre Schatz der VHS Winnenden sind aber jene, die Woche für Woche ihren Kurs abhalten: ob einen Sprach-, einen Gymnastik-, Yoga- oder Kochkurs, ob einen Zeichen-, Mal-. Töpfer- oder Fotografie-Kurs. Der wahre Schatz sind jene, die Semester für Semester auf Fragen eingehen und Hilfestellung geben in der VHS-Elternschule, in Psychologieseminaren, die Spielkreise leiten, Literaturkurse abhalten oder Kunstgeschichte vermitteln. Lehrende, die mit Steno, Maschinenschreiben, Buchführung und Angeboten zur Büroorganisation, Rhetorik, Mitarbeiterführung, Unternehmensgründung, Menschen befähigen, sich beruflich weiter zu entwickeln oder neu zu orientieren. 
Der wahre Schatz sind auch jene, die eigene Fähigkeiten und Fertigkeiten weitergeben, sei es im Sticken, Stricken, Nähen, Seidenmalen, Buchbinden, Schmuck gestalten, Patchworken, Weben, und auch die, die über fremde Länder und Kulturen berichten, oder jene, die Politik und Geschichte oder Philosophie verständlich machen. 
Schlicht, die Dozentinnen und Dozenten, Referenten und Referentinnen, die das Kernangebot der VHS Winnenden Semester für Semester bestreiten. Und so konnte Jörg-Nolle in seinem Bericht zum 50jährigen Jubiläum titeln: „Die blühende Landschaft Volkshochschule

50 Jahre alt und kein bißchen welk“ 
Das Fest zum 50. Geburtstag war als Dankeschön an all jene gedacht, die am Erfolg der VHS Winnenden mitgewirkt hatten. Viele der Lehrenden fanden sich gelegentlich auf den Bildwänden im Foyer der Stadthalle mit Bildern und Erinnerungen an die vergangenen Jahre wieder. Mit “Neckar, Zeit, Fluß“ stand ein heiteres, doch auch kritisches Stück von Helmut Engisch im Zentrum der Veranstaltung. Es spielte das Trio „wort für wort“: Ulrike Goetz, Rudolf Guckelsberger, Ernst Konarek. Das United Saxes Quartett umrahmte die Veranstaltung auf erfrischende Art. 
Hans Janouschek war gekommen, das Ehepaar Atzert, das zu den Gründern zählte, war aus Ulm angereist, einige der Unterstützer aus der Gründungszeit, so auch Max Mager, hatten es sich nicht nehmen lassen zu kommen. Der Direktor der Partnervolkshochschule Meißen hielt ein Grußwort. Kooperationspartner, Förderer der VHS aus Wirtschaft und Industrie, Gemeinde- und Kreisräte waren da und, und, und...Und es feierten viele der Dozenten und Dozentinnen, Referentinnen und Referentinnen mit, ohne deren erfolgreiche Arbeit ein Wachsen der VHS nicht möglich gewesen wäre. 
Ein Blick in die Statistik von 1997 zeigt: 582 Angebote wurden durchgeführt, 10.104 Teilnehmende besuchten die VHS, 10.426 Unterrichtseinheiten wurden gehalten.
Die VHS Winnenden hatte 1990 die Schallmauer der 10.000 Unterrichtseinheiten durchbrochen und war so in der Einordnung des Landesverbandes von einer „Kleinen“ zu einer „Kleinen mittleren Volkshochschule“ gewachsen. Jörg Nolle zitiert in seinem Bericht zum VHS-Jubiläum aus dem Grußwort der Direktorin des Volkshochschulverbandes Baden-Württemberg: „Was in Winnenden aufgezogen wird in recht enger Verbindung mit der Stadtverwaltung, sei mit das Beste, was es im Land gebe.“

Foto: VHS-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter 1988 vor dem neuen Domizil


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