Winnender Kalabresen laden ein 2002

75 Jahre VHS Winnenden - Persönlicher Nachklang


Abschluss der Artikelserie zum VHS-Jubiläum

Spurensuche – Persönlicher Nachklang 
Von Christel Ludwig (Leiterin der VHS 1985 -2010)

An eine Kooperation erinnere ich mich besonders. 2002 hatten wir Kalabrien als Schwerpunktthema ausgewählt und konnten Vicenco Matozzo und Anna Sangermano dafür gewinnen. Zwei der Veranstaltungen führten wir mit dem „Circolo Calabria Winnenden e.V.“ durch: ein Nachmittag unter dem Motto „Winnender Kalabresen laden ein“ und eine „Ausstellung mit Bilder von Giorgio Ferrari und Vicenzo Marotta“. Wie üblich bei Kooperationen der VHS gab es ein Planungsgespräch. Es ging lebhaft und ideenreich zu. Als ich dann auch noch genaue Termine für Werbung und Aufbau der Ausstellung wissen wollte, dazu noch nach Bedarf an Stühlen, Tischen, Geschirr und Kühlschrank fragte, löste das leichtes Befremden aus. Mir schwante, das wird nicht einfach. Italiener! Hatte ich Vorurteile? Es tat sich nichts, die Termine verstrichen. Die Auftaktveranstaltung stand ins Haus! Am späten Vormittag füllte sich schlagartig das Haus mit eifrig werkelnden Männern und Frauen, es duftete lecker, es wurde gelacht und gescherzt. Es fehlte das und jenes: kein Problem in Windeseile war eine Lösung da. Punkt Ausstellungseröffnung war alles bestens. Entspannt und strahlend sahen die Winnender Kalabresen unsere staunenden Gesichter. Es wurden wunderbare Veranstaltungen. Meine Sorge und das Protokoll wurden gemeinsam kräftig belacht. Ich lernte, es gibt viele Wege nach Rom. 

wort+ton 
Die Reihe feiert in diesem Jahr ihr 20jähriges Bestehen. Sie hat eine extra Seite verdient. Viele Spuren hat wort+ton hinterlassen und wird, in Obhut des Kulturamtes, hoffentlich noch weitere Spuren legen können. Antoine Tamestit, inzwischen anerkannt als einer der weltbesten Bratscher, ist von Anfang an dabei. Und wenn es sein Terminplan erlaubt, folgt er dem Ruf von Markus Hadulla immer wieder. Einen Abend mit ihm werde ich nicht vergessen. Antoine Tamestit schwebte förmlich. Er hatte beim Lucerne Festival unter Claudio Abbado gespielt und Eindruck gemacht. Eine Schweizer Bank stellte dem jungen Künstler ein wertvolles Instrument zur Verfügung. Eine Stradivari! Glücklich zeigte er mir das Instrument: „Du darfst sie mal berühren!“. Im SWN-Kunst-Keller hatte dann die Bratsche, die einst Gustav Mahler gespielt hatte, ihren ersten Auftritt mit Antoine Tamestit. 

Samen geht auf
Am 31.3.08 stellen sich die Mitglieder des neu gegründeten „Arbeitskreis Lebensformen“ in der VHS vor: Christel Fichtner, Marlis Funk-Becker und Ursula Kögel vom Seniorenrat und Christel Ludwig von der VHS. Das Thema „Wohnen im Alter“ bewegte uns, und wir wollten dem Thema in Winnenden Raum geben. Gäste berichteten über das Projekt „Mehrgenerationenhaus Weinstadt“. Eine lebhafte Diskussion schloss sich an. „Mir brauchet des net in Winnenden, hier sind die Familien no in Takt. Wir versorget onsere Leit.“, mussten wir uns sagen lassen. Aber auch Interesse an dem Thema wurde uns gezeigt. Wir machten weiter. Im November besuchten wir das Wohnprojekt „ZAG“ in Karlsruhe und erfuhren etwas über Entstehungsgeschichte, Projektplanung und Durchführung, Planung des Hauses, Regelungen und Vereinbarungen und über das praktische Leben mit „getrennter Haustür und gemeinsamem Dach“. Im April 2009 kommt Bärbel Bludau aus Karlsruhe und erzählt in der VHS über Freuden und Nöte des Vereins, dem Träger des Wohnprojektes „ZAG – Zukunft alternativ Gestalten“. Im Juni berichtet der Architekt Alexander Grünenwald über das „ZAG“ und andere Projekte für individuelles, selbstbestimmtes Wohnen unter einem Dach.
Der Samen ist aufgegangen „Mittendrin“ in Winnenden. 

Der größte Flop
Immer wieder entschuldigten sich nicht nur ältere VHS Hörerinnen, dass sie zwar gerne zu Veranstaltungen kämen, aber doch abends nicht mehr auf die Straße wollten. Zu gefährlich sei es in Winnenden. Tatsächlich gefährlich? Ich fragte Konrad Jelden an, damals Präsident der Landespolizeidirektion Stuttgart I, und der viel Beschäftigte sagte zu. In seinem Vortrag wollte er ein aktuelles Lagebild des Kriminalitätsgeschehens in Baden-Württemberg und im Rems-Murr-Kreis vermitteln. Ich war mir sicher, der Saal würde voll. 
Ein einziger sehr interessierter Herr saß in der ersten Reihe und hörte aufmerksam zu. Jeldens Body Guards setzten sich dazu, damit ihr Chef nicht vor gar zu leeren Reihen sprechen musste. Die beschämte Gastgeberin erfuhr, dass es jedenfalls damals im Frühjahr 2001 recht friedlich im Rems-Murr-Kreis zuging und sie völlig mit ihrer Planung daneben lag. 

Zeitzeugen
Das 1996 erschienene Buch „Hitler’s Willing Executioners“ des Amerikaners Daniel J. Goldhagen schlug Wellen, wie auch die „Wehrmachtsausstellung“ des Hamburger Instituts für Sozialforschung (J.P. Reemtsma). Wir boten zwei Veranstaltungen dazu im Januar und Februar 1998 mit dem Historiker Thomas Stöckle an, damals wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Gedenkstätte Grafeneck. 
Unter den Zuhörernden waren alle Generationen vertreten. Eine lebhafte, kontroverse Diskussion entbrannte um das Buch von Goldhagen. Am zweiten Abend ging es um die Rolle der Wehrmacht im Nationalsozialismus. Die Zuhörenden wurden Zeugen eines Disputes zwischen zwei sehr angesehenen Winnender Bürgern, die beide wohl zeitgleich in derselben Wehrmachtseinheit gedient hatten. Man merkte, wie die beiden hochbetagten Herren von dem Thema betroffen und bewegt waren. Zwei völlig verschiedene Wahrnehmungen der gleichen Vorgänge hörten wir. Alle Zuhörende waren bewegt von dem, was sie da an Aufarbeitung erlebten. Besonders beeindruckt war eine Schülergruppe, sie schrieben der VHS und bedankten sich, „Geschichte live“ erlebt zu haben.

Reisekader wird zum Zeitzeugen
Michael Grüning einzuladen war eine besondere Erfahrung. Er lebte und schrieb in der DDR. Ihm war eine Lesereise in die BRD zugesagt mit einem Buch „Der Wachsmann-Report. Auskünfte eines Architekten“. Der Deutschamerikaner Konrad Wachsmann war Erbauer u.a. des Einstein-Hauses in Caputh bei Potsdam und weltbekannter Pionier des industriellen Bauens. 
Die ersten Schreiben mit Grüning und DDR Behörden datierten aus 1998, viele folgten, im Frühherbst 1989 war alles genehmigt: Termin 14.3.90. Dann kam die Wende. Am 14.3. war der Vortragssaal voll, keiner wollte etwas über Konrad Wachsmann hören. Und auch Grüning bewegte die jüngere Geschichte sehr. Ein Abend typisch für die Zeit, als man geduldig hinter jedem Trabi herzuckelte und jede Gelegenheit nutzte, etwas aus dem anderen Deutschland zu erfahren. 

Virtueller Konferenzraum
Ohne Corona-Nöte probierten wir es im Herbst 2007 einfach aus:„ […] mit Hilfe moderner internetbasierter Kommunikationstechnik hochwertige Weiterbildung kostengünstig anbieten zu können“. So stand es in der Ausschreibung eines Projektes des Kultusministeriums Baden-Württemberg. In Zusammenarbeit mit dem Lessing-Gymnasium-Winnenden beteiligten wir uns an dem Projekt „Virtueller Konferenzraum“. Die prominent besetzten Vorträge wurden aus dem Roncalli-Forum in Karlsruhe übertragen. Dort saß Publikum, eine Handvoll Projektteilnehmer war zugeschaltet. Wir konnten uns auch an der anschließenden Diskussion direkt beteiligen. 
Die EDV Ausstattung im LGW gab alles Nötige dafür her. Das Internet war von guter Qualität, wie sie denn 2007 so war! Es kamen aus allen Generationen am Thema „Das doppelte Gesicht der Religionen: Religion und Gewalt“ - prominent besetzt -, wie auch an dem Experiment Interessierte. Ich konnte Hans Dieter Baumgärtner für die Moderation vor Ort und Markus Menrath für die technische Betreuung gewinnen. Schon der erste Abend forderte Höchstleistung von beiden. Es klappte nicht mit dem Ton. Wir sahen alles, aber hörten den Referenten nicht. 
In meinem Respekt vor dem Experiment, hatte ich den Referenten des ersten Abends, den Generalsekretär der Stiftung Weltethos Dr. Stephan Schlensog, um sein Manuskript gebeten. Wenn auch ungern gab er seinen Vortrag unter dem dringenden Versprechen, keinen Missbrauch zu treiben, an uns weiter. 
Hans Dieter Baumgärtner brachte das Kunststück fertig, synchron zu den Bildern den Vortrag zu lesen. Gerettet. Die vier folgenden Vorträge gingen ohne größere Schwierigkeiten über die Bühne. Das Projekt schlief dann langsam ein. 
Die Idee war gut, die Technik brauchte aber noch Zeit zum Reifen. 

Winnender Kinder- und Jugendbuchtage
Sie gab es seit 1984 in Winnenden. Auf den Weg gebracht von Bücher-Halder schlossen sich die Stadtbücherei und die Winnender Zeitung an. 2007 zogen die Kinder- und Jugendbuchtage von PLK Festsaal in die VHS ins alte Rathaus. Manuela Halder und ihr Team verwandelten die VHS in ein Leseparadies. Drei prall gefüllte Tage in einem prall gefülltem Haus. Ich weiß nicht mehr, in welchem Jahr es war. Am letzten Abend, die letzten Gäste waren gegangen, wir stärkten uns gerade, um dann ans Abbauen zu gehen, hämmerte es verzweifelt an der Tür. Ein Junge wurde gesucht. Wir wurden schnell fündig, denn inzwischen kannten wir die Lieblingsplätze der Leseratten. Und tatsächlich, da lag er unter einem der Büchertische, selig schlummernd mit einem Buch auf dem Bauch. 
 

Nachwort

Mit diesem Artikel endet die Reihe zur 75-jährigen Geschichte der Volkshochschule Winnenden. Bei meiner Vorgängerin Christel Ludwig möchte ich mich noch einmal herzlich bedanken dafür, dass sie die Geschichte der VHS, die sie selbst 25 Jahre geleitet und damit maßgeblich geprägt hat, in so unterhaltsamer und doch fundierter Weise aufgearbeitet hat. Damit hat sie erneut große Verdienste um die Winnender VHS erworben. 
Diese Artikelserie  endet mit dem Jahr 2010 und damit dem Ende der Leitungstätigkeit von Frau Ludwig. Aber hier endet selbstverständlich nicht die Geschichte der Winnender VHS. Es ist aber nun die Aufgabe späterer Autoren, diese niederzuschreiben. Vielleicht bietet das Jahr 2046, wenn die VHS Winnenden ihren 100. Geburtstag feiert, eine gute Gelegenheit dazu, erneut einen Blick zurückzuwerfen. 
Andreas Frankenhauser, VHS-Leiter 
 


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