Erstes Programmheft 1946

Artikelserie zu 75 Jahren VHS Winnenden startet


Die ehemalige VHS-Leiterin Christel Ludwig berichtet aus der Geschichte der VHS Winnenden

Vorwort Artikelserie 75 Jahre VHS Winnenden

75 Jahre Volkshochschule Winnenden – eine Erfolgsgeschichte, die man ganz groß feiern muss! Aber wie in Zeiten der Pandemie und des Social Distancing? Ein Festakt mit getragener Musik und inspirierenden Reden? Das wäre wohl das Mittel der Wahl gewesen in „normalen Zeiten“. Aber wie begeht man so ein Jubiläum während eines Lockdowns? Diese Frage stellten wir uns, als wir das Programm für das Jubiläumsjahr 2021 planten. Im Gespräch mit meiner Vorgängerin Christel Ludwig, bis 2010 Leiterin unserer Volkshochschule, erfuhr ich, wie engagiert sie die Geschichte der Winnender VHS aufgearbeitet und ein Findbuch im Stadtarchiv erstellt hat. Dies müsste man doch für den Rückblick auf 75 Jahre VHS nutzbar machen! Daraus entstand die Idee, dieses Wissen in einer Artikelserie der Winnender Bürgerschaft zugänglich zu machen. Den ersten Teil dazu lesen Sie hier. Es folgen weitere spannende Geschichten über die Winnender Weiterbildungseinrichtung. Bei Frau Ludwig möchte ich mich für ihr hervorragendes Engagement zum Jubiläumsjahr herzlich bedanken. 

Andreas Frankenhauser, VHS-Leiter

75 Jahre Volkshochschule in Winnenden
Eine Spurensuche 

Christel Ludwig (Leiterin der VHS 1985 - 2010)
Ein verstaubter Karton mit Unterlagen aus den 50er Jahren, der mir in meinem letzten Jahr als VHS-Leiterin anvertraut wurde, war der Anlass, mit dem Stadtarchiv Kontakt aufzunehmen. Dort bestand Interesse, die, wenn auch lückenhaften, Unterlagen der Winnender Einrichtung zu archivieren. Die Arbeitspläne (Programme) seit der Gründung der Volkshochschule sind nahezu vollständig vorhanden und bilden die Grundlage der Sammlung. 
Die staubige Arbeit sollte Teil meiner ersten Ruhestandsjahre werden. Nach 25 Jahren umtriebiger Volkshochschularbeit, stets in Kontakt mit den unterschiedlichsten Menschen, stets getrieben, neue Ideen zu haben, zeitgemäße Angebote zu kreieren, die dann halbjährlich an die Menschen gebracht werden mussten; nun die stille Arbeit am Archivschreibtisch. Die Aufgabe hat mir große Freude gemacht, konnte ich doch in die spannende Entwicklung der Volkshochschule eintauchen. Ein Findbuch ist entstanden, das festhält, welche Unterlagen von 1946 bis 2010 im Archiv gelandet sind.
Als mich Andreas Frankenhauser, derzeitiger Leiter der VHS, ansprach, ob ich nicht etwas zum 75. Geburtstag der VHS beisteuern könne, fielen mir die spannenden Einblicke ein, zumal die aus der Anfangszeit der Einrichtung, die ich beim Archivieren bekommen hatte. Warum daraus nicht eine Zeitreise versuchen, besser eine Zeitgeist-Reise? Die Unterlagen, besonders die VHS-Programme, spiegeln wider, welche Fragen die Menschen in Winnenden in den jeweiligen Jahren bewegt haben.


Aufbruch 
Ein erstes Zeugnis: ein vergilbtes Plakat, das einen der ersten Vorträge ankündigt. Das grobe Papier war kurz vor dem Auseinanderfallen, als es der Volkshochschule aus einem Nachlass übergeben wurde. Buchdrucker restaurierten es, beim Einzug der  VHS ins Alte Rathaus erhielt es einen Ehrenplatz und erregte oft Erstaunen: „…schon 1946…? 
Das Erstaunen war berechtigt. Winnenden hatte damals rund 7.000 Einwohner, Lebensmittelmarken und Bezugsscheine gehörten zum Alltag, der Tauschhandel blühte, Vertriebene und Flüchtlinge galt es zu integrieren. Verluste, Wohnungsnot, Hunger und Sorge um das Nötigste bestimmten das Leben der Menschen. Doch auch den Hunger nach geistiger Erneuerung galt es zu stillen. 
Im Oktober 1946 wurde mit Genehmigung der Militärregierung von Dipl.-Ing. Ulrich Schad, Oberstudienrat Erwin Hofmann und dem Gemeindebeamten Max Mager die Volkshochschule in Winnenden ins Leben gerufen. Angeregt von Bürgermeister Hermann Schwab gründeten 1947 die Vorstände kulturtreibender Vereine und die Pfarrer von Winnenden den Verein Volkshochschule Winnenden. 1950 erhielt dieser Verein die Rechtsform eines eingetragenen Vereins, die er auch heute noch besitzt. Dem ersten Vorstand gehörten Hermann Schwab, 1. Vorsitzender, Karl Schwedhelm und Werner Hoffmann, als 2. Vorsitzender und gleichzeitiger Leiter der VHS, und als Geschäftsführer Hans Binder an. 
Die Gründer und ersten Leiter der Volkshochschulen kamen überwiegend aus den Reihen der ‚Unbelasteten’, sie waren nach langen Jahren der Unfreiheit voller Tatkraft, erinnert sich Renate Krausnick-Horst, Direktorin des VHS-Verbandes Baden-Württemberg i.R.. 
Auch in Winnenden schlossen sich Alteingesessene und Neubürger zusammen, um am Neuaufbau mitzuwirken und die Demokratiebewegung zu stärken. Unterstützt wurden sie von den Besatzungsmächten und der Stadt, später dann auch vom Landkreis und den ersten Kultusverwaltungen. 
Im Dezember 1946 erscheint das erste Programm der VHS Winnenden.

Hungerjahre

Ein Aufruf engagierter Bürgerinnen und Bürger aus der Anfangszeit ist leider undatiert. Sie laden ein zur Mitgliedschaft bei der „Kulturgemeinde“, die zum Ziel hatte, den Volkshochschulgedanken in Winnenden lebendig werden zu lassen, aus der Erkenntnis der Notwendigkeit einer geistigen Erneuerung nach den Verwüstungen, die das „Dritte Reich“ im Land und in den Köpfen hinterlassen hatte.
Mit dem Aufruf sollte durch Spenden ein finanzieller Grundstock für den Aufbau geschaffen werden. 
Unterzeichner des Aufrufs waren die Mitglieder des Bildungsausschusses der neugegründeten VHS: Hermann Abbrecht, Else-Käte Atzert, Rudolf Enssle, Hans Fischer, Karl Fromme, Hans Wilhelm Georgi und Fritz Kälber.

Es fehlte an allem, nur nicht an Willen und Tatkraft. Initiator und Motor der Arbeit in den Jahren des Aufbruchs war Dipl. Ing. Ulrich Schad, wie Hermann Schwab in einem Festschriftartikel anlässlich des 40jährigen Bestehens der VHS schreibt. Die Leitung der Einrichtung war eine nebenberufliche Tätigkeit, Geschäftsstelle war eine Privatwohnung in der Friedhofstraße, Sprechstunden wurden zweimal wöchentlich im Rathaus – Hintergebäude Mühltorstr 3 - abgehalten. 

Aus den Anfangsjahren wird berichtet von kalten Vortragsräumen, von Glühbirnen, die eingeschraubt und nach der Veranstaltung wieder entfernt wurden, von dem Brikett, das man in die alte Oberschule mitbrachte – Eintritt und Heizmittel-, von Dozenten, denen man ein Nachtquartier bot und mit denen man die kärgliche Nahrung teilte, vom Papiermangel und der Mühsal, die Genehmigung („Persilschein“) durch die Besatzungsmacht für jeden Einzelnen der Unterrichtenden zu bekommen. 
Zwei dünne Exemplare - Papier war rationierte Mangelware - des ersten Programmes vom Winter 1946/47 mit knappen Informationen liegen im Stadtarchiv. Das Angebot zeigt eindrucksvoll, welcher Wille und welche Energie für den Neuanfang aufgebracht wurden und was den Menschen an geistiger Nahrung nötig schien.


Inhaltsübersicht
*Sprachen
*Mathematik und Naturwissenschaften
*Land- und Gartenbau
*Kaufmännische Fächer
*Kunst und Können
*Fragen des Lebens, der Gemeinschaft


Ob allen Sprachangeboten auch tatsächlich volle Kurse folgten, kann nicht mehr gesagt werden. Interessant ist, dass es Möglichkeiten gab Englisch, Französisch, Russisch, Spanisch, Italienisch und Deutsch zu lernen. Von der Lebenswirklichkeit der Zeit sprechen Titel wie: "Einführung in die Konstruktionslehre", "Stoffkunde des Eisens", "Stoffkunde des Holzes", "Fachzeichnen und Fachrechnen", "Technisches Zeichnen", "Elektrotechnik", "Bauen", "Stenografie", "Kaufmännisches Rechnung", "Buchhaltung", "Bilanz- und Steuerkunde", "Rechts- und Verwaltungskunde", "Psychologie". 
Neben diesen auf berufliche Orientierung ausgerichteten Angeboten nehmen solche, die geistige Nahrung versprechen großen Raum ein:

*Literatur (Das Wesen der Dichtung, Literaturgeschichte)
*Kunstbetrachtung (insbesondere Malerei)
*Freihandzeichnen und Malen
*Musikgeschichte – mit Darbietungen – (Die Klassiker der Musik)
*Gemischter Chor, Schach, Bastelkurs
*Theaterspielgruppe
In der Rubrik "Fragen des Lebens, der Gemeinschaft" werden „Politische und weltanschauliche Vortragsreihen“ angeboten mit dem Zusatz „Vorträge, die jeden fesseln, aus allen Gebieten“: Termin und Thema per Aushang. 
 


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