Renovierung im VHS-Gebäude 1999

75 Jahre Volkshochschule in Winnenden - Teil 10 der Artikelserie


Das Ende der Spurensuche

Spurensuche – Ende
Von Christel Ludwig (Leiterin der VHS 1985 -2010)

VHS Spezialität: die Generalität
Das Fazit, das Dr. Hermann Huba, ehemaliger Direktor des VHS Verbandes Baden-Württemberg in der Mitgliederversammlung 1999 in Winnenden am Ende eines Impulsreferats zieht, hat bis heute nicht an Gültigkeit verloren: „Der Schlüssel zum richtigen Verständnis der Volkshochschule ist die gesellschaftliche Notwendigkeit allgemeiner Weiterbildung, als Weiterbildung für die Allgemeinheit, zu potentiell allen Themen. […] auch im Sinne fortgesetzter Begegnung mit dem Anderen, des fortgesetzten Sich-Einlassens auf Unbekanntes und Fremdes“. Weiter zitiert Rudolf Zeiffer in der Winnender Zeitung: „Und eben deshalb steigere allgemeine Weiterbildung die Fähigkeit unserer Gesellschaft, Probleme zu lösen, sich für die Zukunft fit zu machen und die sich stellenden Aufgaben zu meistern“.

Zuerst der „Feldgottesdienst“
VHS-Arbeit ist Teamarbeit. Am Beginn eines jeden neuen Programms stand zu meiner Zeit eine Besprechung mit allen Mitarbeiterinnen, der „Feldgottesdienst“. Erfahrungen wurden ausgetauscht, Kritik erörtert, Tipps und Anregungen gegeben, Wünsche geäußert, Ideen eingespeist. Als nächstes setzte sich der überschaubare Kreis der Programmplanenden zusammen. In meiner Anfangszeit musste ich also mit mir selbst diskutieren, manchmal musste die Leiterin der Planenden dann widersprechen: zu aufwendig, zu teuer… 1988 kamen Walter Erhardt, 1989 Renate Wöhrle dazu, der Meinungsaustausch wurde lebhafter. Die Verteilung der für die VHS bereitgestellten Räume wurde geklärt. Aller weitere Raumbedarf ergab sich aus der Planung und musste extern, meist von den Schulämtern genehmigt werden. 
Der Programmumfang wurde festgelegt, Schwerpunktprogramme und besondere Veranstaltungen besprochen. Es wurde entschieden, was nicht mehr im Programm vertreten sein würde, und diskutiert, was neu hinzukommen solle. Der finanzielle Rahmen wurde festgelegt. 

Die Lehrenden des Kernangebotes bekamen Planungsunterlagen, andere wurden angefragt. Vorstellungs- und Planungsgespräche füllten die Tage. Die heiße Planungsphase hatte begonnen, d. h. die Angebote wurden konkret organisiert, kalkuliert und beschrieben. Jedes Angebot musste in meiner Anfangszeit noch auf der Schreibmaschine mit vierfachem Durchschlag von den Verwaltungsmitarbeiterinnen abgetippt werden. Danach kam die Korrekturphase. Der Abgabetermin in der Druckerei kam immer zu früh. 
Bleisatz, Druckfahnen, Klebeumbruch sind Begriffe, die heute kaum noch bekannt sind. Die elektronischen Möglichkeiten haben alles „einfacher“ und schneller gemacht. Der Zeitdruck dürfte aber nicht geringer sein als früher. Wenn die letzte Korrektur und der Umbruch in der Druckerei abgegeben waren, traf sich das gesamte Team. Man hatte es wieder einmal geschafft. Kleine Verschnaufpause – manchmal ein Gläsle auf‘s neue Programm! 

Stand- und Spielbein
Die Auswertung der Programmhefte von 1946 bis 2010 hat gezeigt, dass an der VHS Winnenden besonders auf die Kernangebote geachtet wurde. Alle Fachbereiche wurden bedient. Das Standbein der VHS war stets kräftig, auch dank der auffallend treuen Dozentenschaft. 
Besonderes, also Spielbein, gab es in jedem Semester: „besondere Menschen“, die eingeladen werden konnten, spezielle Themen, die behandelt wurden, außergewöhnliche Unterrichtsorte oder fächerübergreifende Projekte. Wobei manchmal auch das Besondere zum „Üblichen“ wurde, wie zum Beispiel die Vorträge von Prof. Dr. Walter Jens. Das Spielbein wurde zum Standbein. 

Im Maschinenraum
Mit dem Umzug der VHS ins alte Rathaus hatten Hörer wie Lehrende öfter Gelegenheit, mit denen in Kontakt zu kommen, die dafür sorgten, dass der „Laden“ lief. Die VHS Winnenden hatte das Glück, dass fast alle Verwaltungsmitarbeiterinnen gepackt waren von der Aufgabe. Alle zogen an einem Strang, dachten und machten mit, auch wenn die Uhr schon Feierabend anzeigte, packten zu, wenn es nötig war. 
Ingeborg Kieber konnte alles, einschließlich der Buchhaltung und galt 25 Jahre lang als die gute Seele der Verwaltung, ja der VHS. Carola Langnaese kam als C. Wohlfahrt 1990 zur VHS. Immer verlässlich, in praktischen Dingen unschlagbar und oft die letzte Rettung, wenn eine von uns mit dem schon wieder neuen EDV Programm nicht klar kam. 1992 wurde Brigitte Fackler die Dritte im Bunde. „Frau Anmeldesekretariat“. Und unsere Haus- und Hof-Fotografin, das natürlich neben ihrer er Arbeit an der „Front“. Egal, ob aufgeregt, ungeduldig, ärgerlich, redselig oder einfach unfreundlich: Brigitte Fackler konnte mit jeder und jedem. Alle drei Kolleginnen blieben bis zu ihrem Ruhestand dem Unruheladen VHS treu. 2005 konnte Ute Haupt eingestellt werden. Sie war vorher schon als Aushilfe sehr geschätzt und ist heute noch in der VHS. Über sechs Jahre ist Ulrike Bernhard in der Verwaltung mit der VHS durch dick und dünn gegangen, und das ehrenamtlich! Auch Elke Adolf hat neben ihrer Dozententätigkeit in der Verwaltung als Aushilfe gejobbt, ehe sie die Abteilung Sprachen übernahm. 
Erinnert sei auch an die, die weniger lange da waren. Es bedarf einer Ader für die speziellen Anforderungen an einer Volkshochschule. Drei wurden uns weggeheiratet, eine weggeworben, eine hatte Heimweh nach Berlin: Christina Szönyi, Roswitha Schweitzer, Helga Burgert, Petra Machaczek (später Fuchs), Marisol Simon, Ilona Schliephake, Axel Kopp, Ingrid Gärtner. 2009 hatte ich dann noch die Freude, zwei neue vielversprechende Kolleginnen einarbeiten zu dürfen, Jennifer Mischke und Annette Bühl. 
Es würde den Rahmen sprengen, würde ich alle benennen, die als 1 €- oder Mini-Jobber geholfen haben, die stundenweise beschäftigt waren in der Verwaltung, Kassendienst machten, die Plakate klebten und Handzettel erstellten. Nur Gerhard Gold muss ich erwähnen, der langjährig als Dozent für Finanzbuchhaltung der VHS verbunden war. Er sprang ein und unterstützte die Buchhalterin als, lange vor der öffentlichen Verwaltung, die VHS ihre Buchhaltung von Kameralistik auf Doppik umstellen musste. 
Jeder Erfolg brachte mehr Arbeit. Bis dem durch Personalerweiterung Rechnung getragen werden konnte, mussten alle eine weite, kaum zu bewältigende Strecke zurücklegen. Als Leiterin fühlte ich mich oft als Mischung von Sklaventreiberin und Motivationsgenie.

Die Mitglieder des Vereins VHS
Die Mitglieder sollten, so war es von den Gründungsmitgliedern gedacht, ein Abbild der Gesellschaft des Einzugsbereiches sein. Weitere Mitglieder sind Vertreter der Mitgliedskommunen der VHS. Die Vielfalt der Mitglieder bereichern die VHS. Impulse, die sie einbringen, fördern die Arbeit der Einrichtung. Kritik, die sie vortragen, ist Anregungen zur Optimierung. 
Aus ihrem Kreis wird der Vorstand gewählt. Gesetzt im Vorstand ist einzig der 1. Bürgermeister der Stadt Winnenden in Vertretung des OB. 

Der Vorstand
Nach der „Ära“ Schwab wurde 1984 Bürgermeister Paul Hug zum 1. Vorsitzenden der VHS Winnenden e. V. gewählt, als 2. Vorsitzender wurde Rektor Dieter Pflüger bestätigt, als Beisitzer Studiendirektor Ingo Lauer und Alt-OB Hermann Schwab bestimmt. Im Herbst 1990 verabschiedete sich Hermann Schwab Alters halber aus dem Vorstand. Er hatte rechtzeitig den Stab weitergegeben, die Kontinuität wurde gewahrt. Der Bildhauer Martin Kirstein folgte ihm als Beisitzer. 1999 gab Dieter Pflüger seine Aufgabe auf. Ingo Lauer wurde als 2. Vorsitzender bestätigt, Oberstudiendirektorin Anne Magner kam als Beisitzerin neu in den Vorstand. Der 2. Vorsitzende Studiendirektor Ingo Lauer verließ 2002 den Vorstand. Bürgermeister Norbert Sailer kam für die Stadt im Herbst 2002 in den, Vorstand als stellvertretender Vorsitzender. Paul Hug, inzwischen BM i.R., blieb weiter 1. Vorsitzender der VHS. 
Mit Dieter Pflüger und Ingo Lauer wurden „Urgesteine“ der VHS verabschiedet, die neben der Vorstandsarbeit in vielfältiger Form die Entwicklung der VHS befördert haben. Im Herbst 2005 scheidet BM i.R. Paul Hug nach 21 Jahren aus dem Vorstand der Volkshochschule aus. 
Zum Profil der VHS Winnenden gehörte es, die „Weiterbildung der Weiterbildner“ voranzutreiben. Der VHS Verband Baden-Württemberg führte gelegentlich in Winnenden landesweite Fortbildungen durch. Wenn es seine Zeit erlaubte, ließ es sich der 1. Vorsitzender Paul Hug nicht nehmen, die Gäste zu begrüßen und mit ihnen zu fachsimpeln. Des Öfteren wurde ich darauf neidvoll angesprochen, was die VHS Winnenden doch für einen engagierten und kompetenten Vorsitzenden habe. Ich konnte das nur dankbar bestätigen. Bei seinem Ausscheiden blickte ich auf 20 Jahre enger, sachlicher und vertrauensvoller Zusammenarbeit zurück. Seine Werte, die konsequente Haltung und seine Kompetenz in Sachen Volkshochschule waren für mich und meine Mitarbeiterinnen ein sicheres Fundament, ohne das die erfolgreiche Aufbauarbeit nicht möglich gewesen wäre. 
Im Jahresbericht 1984 schreibt Paul Hug anlässlich seines Amtsantritts als 1. Vorsitzender: „Die Volkshochschule braucht eine parteipolitisch und weltanschaulich ungebundene Arbeit im Geiste der Toleranz. Das heißt nicht, dass wir politische Eunuchen haben wollen, sondern dass wir sehr tolerant und für alle Teile der Bevölkerung offen sind.“ 
Eine solche, dann auch gelebte Einstellung ist ein Segen für eine Volkshochschule. Die Entwicklung und der Erfolg der VHS Winnenden sind Beweis dafür. In die „Ära“ Hug fielen richtungsweisende Entscheidungen, die ohne seinen Einsatz, der ihn sicher gelegentlich in Konflikt mit seinem Amt geraten ließ, nicht denkbar gewesen wären. Seine Kompetenz in Sachen Volkshochschule und seinen Einsatz für die Einrichtung wurden vom VHS-Team, von den Lehrenden und Lernenden dankbar anerkannt, was Paul Hug bei VHS-Veranstaltungen und besonders bei den jährlichen „VHS Dozenten Treffen“ immer wieder erfahren hat. 
BM Norbert Sailer folgte Paul Hug als 1. Vorsitzender, Anne Magner wurde stellvertretende Vorsitzende, Ralf Oldendorf wird neu in den Vorstand gewählt. 
Im Sommer 2010 scheiden Anne Magner und Martin Kirstein aus. Hans-Dieter Baumgärtner und Markus Hofmeister werden neu in den Vorstand gewählt.

Wirksamkeit
Im Juli 2010 bescheinigt Dr. Hermann Huba, der damalige Direktor des Volkshochschulverbandes Baden-Württemberg e.V., der VHS Winnenden, dass sie „eine sehr leistungsstarke, kleine mittlere Vollprogramm-Volkshochschule sei“ Er belegt das u.a. mit der durchschnittlichen Weiterbildungsdichte aller Volkshochschulen, die „in Baden-Württemberg bei knapp 249 Unterrichtseinheiten pro tausend Einwohner liege.“ Dr. Huba gratuliert der VHS Winnenden zu einer „Weiterbildungsdichte von 386“ Unterrichtseinheit pro tausend Einwohner. Auch seien die durchschnittlichen Teilnehmerzahlen weit überdurchschnittlich, was belege: „Die VHS Winnenden trifft mit ihrem Angebot demnach den objektiven Bedarf ebenso wie die subjektiven Bedürfnisse der Menschen […].“ An einem „beachtlichen Anteil der Allgemeinbildung am Gesamtprogramm, der bei knapp 20% liege“ sieht Huba den Beweis, dass „die VHS und ihre Leitung sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst seien.“
Jubiläen
Gelegentlich war die VHS auch in schwierigem Fahrwasser, in dem alle Kräfte konzentriert werden mussten, das Erreichte zu erhalten. Der 60. Geburtstag 2006 fiel in eine dieser Zeiten: Zuschusskürzungen und personeller Engpässe mussten verkraftet werden. Es gab keine große Feier. Der eindrucksvolle Festvortrag von Prof. Dr. Franz Quarthal im Sitzungssaal der Stadt Winnenden „Der geistige Neuaufbruch in Südwestdeutschland nach 1949“ zeigte, dass jedes Tal durchschritten werden kann, und machte Mut. 
In weitaus schwierigeren Zeiten feiert die VHS 2021 das 75. Jubiläum. Die Ursache liegt nicht im Einflussbereich der VHS, sie muss mit den Auswirkungen der Pandemie irgendwie klar kommen und ihre Grundsubstanz retten. Dazu bedarf sie der Hilfe des Landes und vor allem der Unterstützung durch ihre Träger. 
Zuversicht aus der Geschichte
Die Spurensuche endet 2010, neuere Spuren sind naturgemäß im Archiv noch nicht angekommen. Möge meine kleine und unvollkommene Rückschau auf die Geschichte der VHS in Winnenden denen Mut machen, die in dieser unwägbaren Zeit jetzt die Geschicke der Volkshochschule tragen. Ich bin sicher, die Volkshochschule wird ihren Platz in der Mitte des Gemeinwesens behalten. Sie wird gebraucht werden, mehr denn je. Durch die Pandemie sind Leerstellen und Fragen zu Tage getreten, die der Durchleuchtung und Aufklärung bedürfen. Die Gesellschaft muss ihre Werte unter dem Eindruck der Erfahrungen bedenken. Umwelt- und Klimakrise fordern darüber hinaus Neuorientierung. Technische Neuerungen verändern den Alltag. 
Die Volkshochschule kann und muss bei all diesen Fragen Orientierungshilfe geben, Kenntnisse vermitteln und Anwendungswissen lehren, sozialverträglich und für alle zugänglich. 
Gäbe es die Volkshochschule nicht, man müsste sie heute noch erfinden! 

Wer Lust hat, noch mehr über die Geschichte der VHS in Winnenden zu erfahren, sollte das Virtuelle Museum im Blick behalten. Die Stadtarchivarin Michaela Couzinet-Weber arbeitet mit Hochdruck an einer Ausstellung zu „75 Jahre VHS“. Ich werde ihr mit Rat und Tat zu Seite stehen.


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