75 Jahre VHS Winnenden - Teil 5 der Artikelserie


VHS-Film- und Theatergeschichte, Studienreisen im Wandel

Von Christel Ludwig (Leiterin der VHS 1985 -2010)

Das „Wirtschaftswunder“ nimmt 1950 langsam Fahrt auf. Im Mai werden die Lebensmittelmarken abgeschafft, 1955 wird der 1.000.000ste Käfer gefeiert, das Realeinkommen hat 1950 das Vorkriegsniveau überschritten. Gibt es Anfang der 1950er Jahre noch über zwei Millionen Arbeitslose, müssen 1955 „ Gastarbeiter“ angeworben werden. An der VHS dagegen gab es 1949/50 einen Abschwung, wie Karl Schwedhelm 1956 in einem Rückblick auf „10 Jahre VHS“ berichtet. Ein Rückgang, „hervorgerufen durch vordringliche Aufwendungen für den materiellen Nachholbedarf“. Ulrich Schad konnte aus beruflichen Gründen das Ehrenamt der VHS Leitung nicht mehr ausüben. Hans Binder, Werner Hofmann und Franz Koch übernahmen kurz die Aufgabe, bis Hermann Lampl von 1952 bis 1964 die VHS als nebenamtlicher Geschäftsführer managte. Die „Leitung der Bildungsarbeit“  übernahm von 1950 bis 1955 Studiendirektor Erwin Hofmann („Stoppe“). Im Vorstand waren außer ihm Karl Schwedhelm (bis 1964) und Max Mager (bis 1956) neben dem „1. Vorstand“ BM Hermann Schwab. 

Aktuell – vielfältig – anspruchsvoll
Aktuelle Vorträge wurden angeboten, namhafte Redner und bekannte Autoren eingeladen. Es gab Arbeitskreise, Arbeitsgemeinschaften, Ausspracheabende, Studienfahrten und die ersten Studienreisen. Der Film-Club startete. Theaterabende, musikalische Werkbetrachtungen und Konzerte bereicherten das Programm. Karl Schwedhelm erinnert sich einer „Tendenz zu Themen von besonderer Aktualität in Form fesselnder Vorträge, möglichst mit Unterstützung durch das Lichtbild[……]diesem Wunsch konnte das Programm der VHS durchaus entsprechen, ohne sein Niveau zu senken.“ Und wenn Karl Schwedhelm von Niveau sprach, legte er, der als Lektor im Südfunk tätig war, hohe Maßstäbe an. 
Eine Gratwanderung, auf die sich die Programmgestaltenden der VHS auch in den kommenden Jahren begaben und sich wohl auch in Zukunft begeben müssen: Den „Zeitgeist“ bedienen, und das mit Niveau. 

Eine Gratwanderung – Programmplanung
Programme zu planen heißt, geradezu seismografisch spüren, was die Menschen in naher Zukunft bewegen wird. Dann heißt es, Lehrende zu finden, die das Thema möglichst von vielen Seiten beleuchten und in kompetenter Form Erwachsenen nach einem langen Arbeitstag spannend vermitteln können. Die VHS muss gleichermaßen attraktiv sein für Lehrende und Teilnehmende. Dozenten und Referentinnen an den Volkshochschulen kommen aus allen Wissensgebieten, Fachleute und Autodidakten. Volkshochschulen können weitgehend frei von Vorgaben und Lehrplänen agieren und so auf Bedürfnisse der Menschen und Themen der Zeit schnell reagieren. Niveau bzw. fundierte Qualität sind dabei unbedingte Notwendigkeit. Erwachsene sind ein kritisches Publikum, dessen Abstimmung mit den Füßen eine deutliche Sprache spricht.

Das Erfolgsrezept
Die VHS kam schnell aus der Talsohle heraus. Sicher haben die Beziehungen Schwedhelms, der als Lektor im SDR tätig war, geholfen, trotz engem finanziellem Spielraum und geringer Mobilität, interessante Persönlichkeiten nach Winnenden zu holen. Er zählt in seinem Rückblick einige der namhaften Redner auf: „aus Tübingen kamen die Professoren Spranger, Köberle und Arnold[…]. Der heutige Botschafter der BRD in Belgrad, Dr. Pfleiderer, sprach über das Verhältnis zur Sowjetunion. Dichterabende mit Ludwig Tügel, Otto Rombach, Albrecht Goes, Gerd Gaiser, Georg von der Vring u.a. führten zur Gründung einer Gruppe „Freunde der Dichtung“[…]. Prof. Dr. Fritz Martini, Stuttgart, machte mit den Ausdrucksformen der Gegenwartsliteratur bekannt[…]. Weiter erwähnte Schwedhelm „schwäbische Dichter, wie Josef Eberle, Ludwig Finckh, Martin Lang Helmut Paulus, Otto Heuschele, Karl Fuß[…]. Er berichtet von besonderen Veranstaltungsreihen der VHS: Krankheiten unserer Zeit, Bildende Kunst von heute und ihre Anwendung in der Innenarchitektur, Musikalische Werkbetrachtungen mit Prof. Bruno Maischhofer, Szenische Lesungen des „Ensemble Gerhard Klocke“, das bevorzugt die dramatische Weltliteratur darbot. Das Ensemble gastierte übrigens in Winnenden von da an regelmäßig bis zum Wintersemester 89/90. 
Ein besonderer Erfolg war die „Singwoche“ mit Walther Hensel, die Hunderte von Teilnehmern nach Winnenden brachte.

VHS-Filmgeschichte
Im Programm 1952 sind ohne weitere Details „Kulturfilme“ angekündigt. 1954 wird die Gründung des „Film Club“ erwähnt. Die ersten Filme sind „Der Göttergatte“, „Gott braucht Menschen“, „Befehl des Gewissens“. Bis 1964 finden die abendlichen Filmangebote der VHS im „Olympia Lichtspielhaus“ statt. Die Reihe Film-Matinée lief sogar bis 1972. 

VHS-Theatergeschichte
Die Angebote der 1952 gegründeten „Theatergemeinde der VHS“ galten als kulturelle und gesellschaftliche Anziehungspunkte, insbesondere die Theaterabende der Esslinger Landesbühne in der Stadthalle. Bereits für die erste Saison 1957 in der neu gebauten Stadthalle, der späteren Hermann-Schwab-Halle, konnte die VHS stolz von 500 abgeschlossenen Mieten berichten. 
OB Karl-Heinrich Lebherz schrieb am 27.6.79 an den Vorsitzenden der VHS: „ mit der Aufführung ‚Der bestrafte Brudermord‘ am 8. Juni 1979 endete ein Stück Winnender Theatergeschichte. Seit vielen Jahren finden hier Theatergastspiele der WLB Esslingen statt, die Durchführung lag stets in den Händen der VHS Winnenden[…].wurde[…].einer großen Zahl von Besuchern Möglichkeit geboten, hier gutes Theater zu erleben.“ Die Stadt will nun mit einem neuen Konzept, das den Möglichkeiten der VHS Grenzen setzt, „sowohl den Besucherstamm halten, als auch neue Zuschauer durch Tournéeaufführungen mit attraktiven Schauspielern gewinnen.“ Ein von der VHS großgezogenes „Kind“ verließ das Haus; nicht das erste und auch nicht das letzte.


VHS-Bildungsreisen im Wandel
Seit 1953 kann man mit der VHS auf Reisen gehen. Die meisten Reisen hatten einen kunstgeschichtlichen Hintergrund, man erkundete hauptsächlich die Kunstschätze in Süddeutschland. Die Reisen wurden inhaltlich in der Regel intensiv mit den Teilnehmenden vorbereitet. 
Zwischen 1965 bis 1982 wurden vermehrt Studienreisen angeboten, um im gemeinsamen Erleben Land und Leute kennen zu lernen. Der in Prag geborene, reiseerfahrene und weltläufige Hans Janouschek war in dieser reisefreudigen Zeit ein Glücksfall für die VHS und reiselustige Winnender. Man fuhr nach Paris, Griechenland, London und Südengland, nach Israel, Moskau, Leningrad, Türkei, Sizilien, Kreta Ägypten, Tunesien, Marokko, Rom, Südafrika, Portugal und immer wieder zum „Prager Winter“, einem Musikfestival.
Mit wachsender Reiseerfahrung änderte sich das Reiseverhalten der Menschen. Ab den 80er Jahren  wurden nur noch VHS-Reisen ergänzend zu speziellen Bildungsangeboten durchgeführt. Wurde 1981 noch eine „Sprach“-Reise nach London, geführt von der Kursleiterin, ausgeschrieben, so erschienen in den folgenden Jahren Sprachreisen nicht mehr im Programm, waren sie doch Lehr- und Lerninhalt geworden. Kursteilnehmende und Dozenten organisierten gemeinsam und selbst verantwortet ihre Reise, die VHS stand bestenfalls beratend zur Seite. Manchmal erfuhr sie durch einen fröhlichen Postkartengruß, dass Kurs xy Pariser Flair genießt.
Anders war es bei Kurse ergänzenden Reisen. Die Lehrinhalte bestimmten das Konzept der Reise. Einige der Reisen gingen vom „Literarischen Kolloquium“ aus, Kunstgeschichte Kurse gingen auf Spurensuche, Landesgeschichte konnte man reisend mit Gerhard Raff erleben. Inzwischen sind Unternehmen für Bildungsreisen verschiedener Fachrichtungen Partner bei VHS-Reisen und -Studienaufenthalten.

Foto: VHS-Studienreise nach Tunesien 1979


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